Das Thema für den aktuellen Rundbrief stand für mich schon früh fest: STARESO (Station de Recherches Sous-Marines et Océanografique), das Meeresbiologische Institut an der Spitze der Halbinsel Revellata. So oft bin ich dort schon vorbei gewandert und habe mich immer gefragt, was sich dort unten im kaum sichtbaren Komplex der Biologen wohl befindet. Vorgefunden habe ich eine sehr lässige Tauchbasis mit 3 Booten in eigenem Hafen, mehrere Laboratorien und Schlafplätze sowie eine offene Bar für die Wissenschaftler. Empfangen wurde ich vom Direktor, Dr. Pierre Lejeune, ein sehr sympathischer, weltoffener Mann Mitte 50. Er hat bei der Gründung 1972 durch die Universität Liège (Lüttich, Belgien) als lokaler Vermittler und Wissenschaftler mitgewirkt. Seit 1989 ist die STARESO eine gemeinnützige Organisation (Non-Profit-Organization) und nimmt internationale Studenten und Doktoranten aus aller Welt auf. Auch für Nicht-Wissenschaftler und Taucherfahrene besteht die Möglichkeit, im August in die Welt der Meeresbiologen hinein zu tauchen. Zwölf Mitarbeiter sind das ganze Jahr über an der Revellata beschäftigt und überwachen die Qualität des Golfes von Calvi.
Pierre, warum wurde der Standort Revellata für das Meeresbiologische Institut gewählt?
Der Standort ist perfekt. Ursprünglich wollte die Universität Lüttich nach Nordafrika, aber zu Zeiten des Algerienkrieges und der politischen Situation mussten sie ausweichen. Außerdem sollte es nicht zu weit weg sein und am liebsten in warmen Gefilden – und so sind sie hier gelandet. Zudem kommt es, dass die Universität die Halbinsel vor Massentourismus gerettet hat. Anfang der 70er-Jahre plante man den Bau von 65 Ferienvillen auf der Revellata. Mit dem Kauf des Geländes sowie der Zusammenarbeit mit dem staatlichen Institut für Küstenschutz konnte man hier Hotelanlagen bis heute erfolgreich verhindern.
Was ist das aktuelle Projekt von STARESO?
Das aktuelle Langzeit-Projekt STARECAR MED ist die Beobachtung und das Erlangen des Verständnisses, wie eine Bucht funktioniert. Durch die permanente Kontrolle der hiesigen Population, der Flora und Fauna des Meeres in der Bucht von Calvi, wie Algen, Plankton, Seegras, der Sandflächen etc. lassen sich zwei grundlegende Dinge erkennen:
1. Die Veränderung der Meereswelt und der lokalen Situation in der Umgebung von Calvi
2. Die globale Entwicklung und die langfristigen Schäden durch den nicht aufzuhaltenden und fortschreitenden Klimawandel.
Im Prinzip wollen wir Verwirrungen und Störungen der hiesigen Flora und Fauna analysieren und deuten können.
Was verwirrt also die hiesige Spezies?
Vor allem die vielen Boote in den Sommermonaten. Das Problem ist erstrangig das Ankern – dabei wird der Grund beschädigt. Und dieser bildet die Grundlage des Meeres und somit die Nährstoffversorgung. Und natürlich die Müllentsorgung über Bord. Glücklicherweise ist die Saison auf Korsika kurz, etwa 2 Monate, wo die Natur stark beansprucht wird. Danach kehrt wieder Ruhe ein in unseren Gewässern und die Untersuchungen zu den globalen Veränderungen können wieder aufgenommen werden. Überhaupt sind solche Beobachtungen nur an ganz wenigen Plätzen im Mittelmeerraum zu bewerkstelligen, denn zum Beispiel die Côte d’Azur ist zubetoniert und so stark frequentiert, dass sich klimatisch bedingte Veränderungen kaum messen lassen. Diese Gebiete konzentrieren sich also vor allem auf die lokalen Veränderungen durch Tourismus und Umweltverschmutzung.
Und Calvi ist – im Winter – ein kleines Dorf, mit wenig Verschmutzungspotenzial, die Touristensaison ist zu kurz, um einen starken Einfluss auf die Wasserqualität zu haben. Das macht den Standort so besonders, denn wir kooperieren nicht nur mit korsischen Umweltschutzorganisationen, wie die Collectivité de la Corse, dem Parc Naturel de la Corse und dem Amt für Umwelt- und Küstenschutz, sondern arbeiten mit Wissenschaftlern aus aller Welt zusammen. Dies ermöglicht uns eine Weiterentwicklung, die auf dem neuesten Stand ist; der internationale Austausch ist sehr wichtig.
Welche Veränderungen haben sich bei den Messungen der Langzeituntersuchung in der Bucht von Calvi seit der Gründung von STARESO ergeben?
Die Quantität an Fischen und Krustentieren ist gesunken, das merken auch die Fischer. Sie benutzen größere Netze. Hingegen ist die Temperatur des Meeres gestiegen, was einen starken Algenwuchs begünstigt. Aber hier in Korsika sind dies alles Konsequenzen der natürlichen Klimaveränderung. Denn hier ist keine Industrie angesiedelt, keine verschmutzten Flüsse leiten das Abwasser ins Meer und der starke Meeresstrom sorgt für den nötigen Austausch mit Frischwasser. Wir können uns glücklich schätzen über dieses saubere, klare Wasser auf Korsika!
Was macht das Mittelmeer so besonders?
Als erstes muss man sagen, dass es sich hier nicht wirklich um ein Meer, sondern um einen Ozean handelt. Auch wenn es nur 0,8 % der gesamten Meeresoberfläche weltweit ausmacht, so ist es doch sehr artenreich. Fast 10 % der Artenvielfalt der Welt sind im Mittelmeer zu finden – auch wenn es quantitativ nicht so viele Fische und Pflanzen gibt. Das liegt an der Tiefe. Das Mittelmeer ist durchschnittliche 1500 m tief – zum Vergleich: Die Nordsee nur 150 m im Schnitt. Das Mittelmeer erreicht sogar eine maximale Tiefe von über 5000 m. Und das Leben im Meer spielt sich am Grund ab. Dort also sind die Spezies zu Hause. Deshalb gibt es weniger Fische als in den „flachen“ Meeren.
Unsere Gäste finden den Strand dreckig, wenn sie dort Berge an Seegras finden. Aber was ist Seegras und wie wichtig ist es für die Welt?
Das sogenannte Neptungras (franz. Posidonie) ist wichtiger als der Regenwald. Man könnte es als „die Lunge des Meeres“ und somit der Welt bezeichnen. Im Mittelmeerraum ist es ein Zeichen für die hohe Qualität des Wassers – dort, wo es wächst, ist der Organismus noch in Ordnung und es sorgt für die Sauerstoffversorgung. Die Gäste sollten sich also darüber freuen! So lange es Seegras gibt, gibt es Leben!
Merci Pierre, für das Interview!
Übrigens gibt es noch mehrere Naturreservate auf der Insel, die sich um den Schutz der vielen Wale und Delfine kümmern. Nicht nur zu Land, sondern auch zu Wasser hat die „Insel der Schönheit“ also vieles zu bieten. Und mein besonderer Tipp: Schnorcheln an der Revellata ist immer wieder ein totales Highlight!
Lena Schimmelpfennig,
Leiterin Korsika-erleben-Programm