„Mutig“, hat er noch gemeint, mein Nachbar, als ich ihm davon erzählte, dass wir nach Korsika fahren. Heuer ist das Jahr von Covid-19 bzw. Corona und fast alle unsere Freunde haben ihre Flugreisen storniert und machen „brav“ Urlaub in Österreich, wie es unsere Regierung will. Ein bisschen mulmig ist uns schon, als wir in Schwechat am Flughafen unsere FFP2-Masken aufsetzen und viel schneller als sonst durch die Security kommen. Nach der Sicherheitskontrolle treffen wir unsere Freunde, mit denen wir unsere 14 Tage im Störrischen Esel verbringen werden, in der Lounge. Die sind ganz aufgekratzt. Keine Spur von Corona-Angst. „Was sind denn deine Erinnerungen an Korsika?“, fragen sie mich. Was fällt mir ein? Der Duft der Macchia, die schönen Berge, meine erste Tour auf den Capu di a Veta als 14-Jähriger und meine große Tour auf den Monte Cinto mit 15, wo ich mir beim Abstieg im Knöchel die Bänder gerissen hatte. Seither sind 34 Jahre vergangen, 26 davon als Angestellter einer Computerfirma mit gefühlten 50.000 Stunden hinter einem Bildschirm und schon viele Jahre keine Berge mehr…

Der Flug vergeht rasch und am Flughafen empfängt uns Marie, eine ganz nette Betreuerin aus dem Feriendorf. Im Feriendorf selbst sammeln wir uns am Dorfplatz vor der Spelunca und jeder bekommt eine Erfrischung und seine Zimmerschlüssel. Der Bungalow ist schnell bezogen. Den Nachmittag verbringen wir am Strand und am Abend geht’s zum Buffet, das auch bei nur einem Drittel-Belegung, wie wir später erfahren, alle Wünsche abdeckt: Zwei Vorspeisen, drei Hauptspeisen, mehrere Nachspeisen, Salate und Früchte – alles vom Feinsten.

Nach dem Essen gibt’s den Infoabend. Mehrere leichte Wanderungen und Bergtouren mit Edgar stehen auf dem Programm, E-Bike-Touren mit Yann, Ausflüge mit Marie. Besonders die große Bergtour am Freitag auf die Paglia Orba hat’s mir angetan. Edgar zeigt uns tolle Fotos. Aufbruch um 5 Uhr in der Früh, Kletterstellen im 2. Schwierigkeitsgrad, Abstieg über eine Abseilpiste. Auch unsere 15-jährige Emma ist ganz begeistert und meint spontan: „Papa, Mama, darf ich da mitgehen?“. Sie ist in den letzten Jahren eine super Sportlerin geworden, fährt mit dem Rad zur Schule und zur Ferialpraxis und macht schon mehr Liegestütze als ich, aber 9 Stunden gehen und 1.400 Höhenmeter rauf und runter? Da hab’ ich für mich selbst ein mulmiges Gefühl. „Vielleicht nächste Woche“, vertrösten Claudia und ich sie.

Die Tage bis zum Freitag vergehen rasch: Am Montag mit Emma eine erste Probetour in meinen neuen Wanderschuhen den halben Capu di a Veta rauf, am Mittwoch die Morgenbesteigung vom Capu gemeinsam mit Edgar mit Abmarsch um 3.45 Uhr. Mit Stirnlampen geht’s durch die Macchia und dank der frühen Stunde ist es angenehm kühl und gut zu bewältigen. Der Weg zum Gipfel ist rasch geschafft und in der Ferne lässt die Paglia Orba, das „korsische Matterhorn“ grüßen. Beim Abstieg in der Morgensonne rächt sich dann die mangelnde Bergpraxis der letzten Jahre: Im Tal brennen die Unter- und Oberschenkel.

In der Früh treffen wir uns mit gepacktem Rucksack um 4.30 Uhr in der Cafeteria zum Frühstück. Um Punkt 5 sitzen wir alle mit Masken im Bus und brausen auf leeren Straßen in Richtung Landesinnere. Über unzählige Kurven geht’s vorbei am Bergdörfchen Calacuccia zum Ausgangspunkt unserer Tour. Dort kommen wir um 7 Uhr an und stapfen auch gleich los, vorbei an hunderte Jahre alten Kiefern, die so dicke Stämme haben, dass sie 2 Personen gemeinsam nicht umfassen können. Nach einer Stunde lichtet sich der Wald und wir machen auf einer Felsplatte Rast. Hier kreuzt sich unser Pfad mit den Wanderwegen Mare Monte und GR20 und es ist „richtig viel los“. Weiter geht’s über Serpentinen und vorbei an grasenden Kühen bis zur Hütte am Fuß vom Capu Tafunato und Paglia Orba. Hier machen wir größere Rast und verzehren unsere Brote, während rund um uns herum die Weitwanderer aus gut 20 kleinen Zelten in der Scharte krabbeln und vor uns ihre Wasserflaschen befüllen. Weiter geht’s über Geröll bis zu den Kletterstellen, wo uns Edgar ans Seil nimmt. Er steigt vor und sichert, wir steigen im Abstand von ca. 3 m am gespannten Seil nach. Bis auf den etwas kniffligen Einstieg in die Verschneidung geht’s ganz leicht. Keine Stunde später sitzen wir am Gipfel und genießen das wunderbare Bergpanorama mit der Punta Minuta und dem Monte Cinto gleich in der Nähe. Das Abseilen ist für uns alle auch viel einfacher als gedacht: Einfach Beine spreizen und zurücksetzen und nach unten gleiten lassen.

Weiter geht’s über ein Geröllfeld, bis wir wieder die Alm vom Aufstieg erreichen. In nicht einmal 2 Stunden vom Gipfel haben wir kleine Gumpen erreicht, wo wir uns von den Strapazen herrlich erfrischen können. Zum Auto sind’s dann kaum noch 45 Minuten. Am Rückweg bleiben wir in Calacuccia auf einen Drink stehen. Dann geht’s weiter durch den Freitagnachmittag-Küstenstau zurück zum Feriendorf. Keiner redet was im Bus. Alle sind erschöpft, aber glücklich, die meisten schlafen. Es war eine wunderschöne Tour, und Edgar hat uns wirklich toll geführt.

So toll, dass ich zurück in Calvi beschließe, nächste Woche mit meiner Emma die Punta-Minuta-Hochtour zu versuchen. Dafür wollen wir uns aber noch eingehen, am Mittwoch auf den Capu di a Veta. Wir brechen um 8.30 Uhr auf und gehen die Route von der Morgenwanderung durch die Macchia. Auf den letzten Metern vor der Straße passiert’s dann, dass ich einen Stein am Weg übersehen und mit meinem „Cinto-Knöchel“ wieder umknicke. Es gibt zwar keinen solchen Stich wie damals vor 34 Jahren, aber ich spür‘ das Gelenk doch bei jedem Schritt. Unsere Emma ist recht traurig, als ich ihr am Nachmittag beibringen muss, dass wir heuer doch noch nicht gemeinsam eine große Tour machen — umso wichtiger, dass wir bald wieder den Störrischen Esel besuchen. Fest vorgenommen haben wir es uns jedenfalls.

Herwig Feichtinger mit Emma und Claudia aus Wien,
Gast